Das Honigmädchen | Claudia Winter

Einfach mal alles hinter sich lassen – davon träumen viele. Jeden Tag wird von einem erwartet, dass man alles gibt. Sowohl im Berufs- als auch im Privatleben kann einen der immense Leistungsdruck, verbunden mit der ständigen Erreichbarkeit, schnell überrennen.

Camilla ist alleinerziehend und kämpft tagtäglich mit den Herausforderungen des Lebens. Ihr Job verlangt ihr einiges ab, an den Folgen der Trennung von ihrem Mann hat sie noch immer zu knabbern und zu allem Überfluss scheint ihr ihre Teenager-Tochter von Sekunde zu Sekunde mehr zu entgleiten. Auch zu Hause findet sie nicht wirklich Entspannung, denn ihr neuer Nachbar, ein Lebemann wie er im Buche steht, hat von den Begriffen „Zimmerlautstärke“ und „Rücksicht“ noch nicht so viel gehört – und das, obwohl er Schriftsteller ist. Kein Wunder, dass Camillas Zündschnur immer kürzer wird. Sie will es allen recht machen und bemerkt nicht, dass sie selbst dabei völlig auf der Strecke bleibt.

Ich denke, dass sich viele Leserinnen und Leser ein Stück weit in Camilla wiederfinden. Überforderung auf ganzer Linie, das Leben rast an einem vorbei und man selbst versucht hinterher zu hechten. Die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft macht krank, kann schnell zu Depressionen oder einem Burnout führen und gleichzeitig auch Beziehungen kaputt machen. Das Zwischenmenschliche bleibt viel zu oft auf der Strecke. Wie wäre es, wenn man einfach mal stehen bleibt und innehält? Leichter gesagt, als getan? Camilla hat das große Glück, dass das Leben (das Schicksal? der liebe Gott? oder doch einfach nur ihr sorgender Vater?) ihr genau diese Möglichkeit aufzeigt. Drohte ihr eben noch ihr komplettes Leben um die Ohren zu fliegen, sitzt sie jetzt mit ihrer rebellierenden Tochter in einem verschlafenen Örtchen in der Provence. Umgeben von summenden Bienen, duftenden Lavendelfeldern und dem mürrischen Henri, findet sie etwas, nach dem sie eigentlich gar nicht gesucht hat.

Die Lesezeit mit „Das Honigmädchen“ kann man tatsächlich als kleine Auszeit vom Alltag betrachten. Eingetaucht in die Geschichte und angekommen in der Provence, fühlt man sich selbst ganz schnell entschleunigt. Claudia Winters angenehm zu lesender Schreibstil macht es einem leicht sich zu entspannen. Ruhig, liebevoll und atmosphärisch erzählt die Autorin eine Geschichte, die sich nach einem Kurzurlaub anfühlt. Für viele sicher nicht nur eine Reise nach Frankreich, sondern auch eine Reise zu sich selbst. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Wohlfühlroman aus der Kategorie „Love & Landscape“ nicht nur zum Träumen, sondern auch zum Nachdenken über sich und sein eigenes Leben verleitet. Auch wenn ich mich selbst weder mit Camilla noch mit ihrer Lebenssituation identifizieren konnte, gehe ich davon aus, dass dieser Roman für viele Leserinnen und Leser eine Inspiration sein kann.

Mein persönliches Highlight waren sowohl das wunderbar gewählte und ausgeschmückte Setting als auch die unheimlich lebendig beschriebenen Nebenfiguren. Sie alle habe ich schnell ins Herz geschlossen, allen voran natürlich den mürrischen und doch so liebenswerten Henri. Die authentischen Charaktere haben die Geschichte immens bereichert, genauso wie die unzähligen Bienen. Sie waren allgegenwärtig und trugen die Geschichte auf ihren zarten und zugleich kraftvollen Flügeln.

„Sie schauen dir direkt ins Herz, die kleinen Biester, dorthin, wo Chaos und Unordnung herrschen.“ S. 183 

Auch wenn dieser Roman meinen persönlichen Geschmack nicht ganz getroffen hat und der erhoffte Pageturner-Effekt für mich ausblieb, bin ich überzeugt davon, dass er, in den Händen der passenden Zielgruppe, für romantische, verträumte, wohltuende, inspirierende, gefühlvolle und samtig-leichte Lesestunden sorgen kann.



W E I T E R F Ü H R E N D E   I N F O S

Taschenbuch* | 448 Seiten | erschienen am 18. März 2019 im Goldmann Verlag | ISBN 978-3-442-48574-1 | Mehr über die Autorin bei Ankas Geblubber findet ihr ggfs. HIER

* = dieses Buch wurde mir vom Goldmann Verlag als kostenfreies Leseexemplar zur Verfügung gestellt


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