Es
ist der wahrgewordene Albtraum aller Eltern. Ihr 6-jähriges Kind
verschwindet spurlos aus einem Zeltlager und wird auch nach
tagelanger intensiver Suche nicht aufgefunden. Dass solch ein
grausames Ereignis jedoch nicht nur die Eltern traumatisiert, durfte
ich in Hannah Häffners Debütroman „Nordsee-Nacht“ lesen.
Die Autorin beweist ab Seite 1, dass sie einen tollen Blick für
Situationen und an ihnen beteiligten Personen hat. Ganz einfühlsam
versetzt sie sich in die Lage der quirligen Betreuerin, des an seine
Grenzen kommenden Kommissars und eines jungen Einwohners der
Kleinstadt Hulthave an der Nordsee, wo das Zeltlager
stattgefunden hat. Die gelöste Stimmung im Camp und schließlich die
angespannte Atmosphäre nach Friederikes Verschwinden fängt Hannah
Häffner feinfühlig ein und macht sie spürbar. Insbesondere Kommissar Wedeland wurde für mich sehr schnell greifbar.
Während
der erste Teil des Buches im Jahr 1987 spielt, machen wir im zweiten
Teil einen Zeitsprung in die Gegenwart. Friederikes Verschwinden
konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Deshalb ist es nicht
verwunderlich, dass die Presse sofort auf der Matte steht, als am
Strand in Hulthave eine bewusstlose Frau aufgefunden wird.
Handelt es sich etwa um Friederike? Tatsächlich sind die
Ähnlichkeiten frappierend und dass sich die Frau, als sie im
Krankenhaus zu sich kommt, an nichts erinnern kann, nicht mal an
ihren Namen, befeuert die Journalisten in ihren Schlagzeilen.
Ich
bin wirklich sehr angetan von diesem starken Debüt. Nicht nur die
Idee zu der Geschichte, sondern auch die Art, wie die Autorin an die
Erzählung herangegangen ist, konnte mich in Windeseile fesseln. Ihr
flüssiger Schreibstil trug ebenfalls dazu bei, dass die Seiten nur
so flogen, auch wenn schnell klar war, dass ich hier keinen
reißerischen Thriller las. Natürlich ist Friederikes Verschwinden
der Aufhänger dieser Geschichte und bleibt Thema bis zum Schluss,
jedoch liegt der Fokus auf den Figuren, ihren Entwicklungen und den
Auswirkungen, die solch eine Ausnahmesituation auf sie hat. Trotzdem
beinhaltet die Geschichte eine gut abgestimmte Portion Spannung, die
mich beim Lesen immer weiter vorantrieb.
Ich
kann mir vorstellen, dass einige Leserinnen und Leser am Ende des
Buches etwas enttäuscht sein werden, rechnet man beim Lesen der
Kurzbeschreibung doch mit einer spektakulären Auflösung. Ja,
schlussendlich beantwortet die Autorin alle Fragen und löst sowohl
das Geheimnis um Friederikes Verschwinden als auch das Geheimnis um
das plötzliche Auftauchen der mysteriösen Frau am Strand. Was die
beiden Fälle miteinander zu tun haben, solltet ihr natürlich selbst
herausfinden.
Ich
bin sehr zufrieden und werde definitiv den weiteren Schreib-Werdegang
der Autorin im Auge behalten. Auch wenn ich nicht zu 100% glücklich
mit der gesamten Geschichte bin, konnte sie mich absolut überzeugen.
Zum Einen hätte ich mir ein bisschen lebendigeres Setting gewünscht.
Die Küste gibt so viel her. Dass es dort windig ist, versteht sich
von selbst, aber das Meer sehen, schmecken oder hören konnte ich
nicht. Zum Anderen fand ich es im zweiten Teil unnötig, so
ausführlich in das Privatleben des jungen Polizisten Erik Harms einzutauchen. Diese Passagen haben, meiner Meinung nach, zur
Geschichte an sich nicht viel beigetragen. Ein Punkt, der mich beim
Lesen etwas irritiert hat, war das fehlende Einbinden von Friederikes
Familie. Wenn ich jetzt im Nachhinein darüber nachdenke, kann ich
verstehen, dass sich die Autorin auf andere Figuren konzentriert hat,
was ich auch spannend und richtig finde, jedoch erschien mir dann die
Erklärung zum fehlenden Einbinden der Familie als ein bisschen plump
und zu einfach gelöst.
Diese
drei kleinen Kritikpunkte fallen, im Vergleich zu all den positiven
Aspekten des Buches, nicht so sehr ins Gewicht. Ich bin nach wie vor sehr
angetan und empfehle diesen Roman uneingeschränkt weiter, natürlich
verbunden mit dem Hinweis, dass eventuelle Sensationsgier nicht
befriedigt wird. „Nordsee-Nacht“ ist ein Roman mit
Spannungselementen, aber kein Krimi oder Thriller. Es geht um einen
ungelösten Kriminalfall bzw. das bisher unaufgeklärte Verschwinden
eines kleinen Kindes, trotzdem steht nicht der Fall im Mittelpunkt,
sondern die Frage, was solch ein Ereignis mit den Personen macht, die
direkt oder indirekt mit hineingezogen werden.
Ein
beeindruckendes Debüt – ich freue mich auf mehr!
W E I T E R F Ü H R E N D E I N F O S
Klappenbroschur* | 384 Seiten | erschienen am 15. Juni 2020 im Goldmann Verlag | ISBN 978-3-442-20581-3 | Mehr über den Autor bei Ankas Geblubber findet ihr ggfs. HIER
* = dieses Buch wurde mir vom Goldmann Verlag als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, was jedoch keinerlei Einfluss auf meine persönliche Meinung zum Titel hat
* = dieses Buch wurde mir vom Goldmann Verlag als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, was jedoch keinerlei Einfluss auf meine persönliche Meinung zum Titel hat
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