Orcasommer | Sabine Giebken | Rezension

Svenja sitzt im Flugzeug und fragt sich, welche fixe Idee sie geritten hat, als sie zugestimmt hat, die Ferien bei ihrem Vater in Kanada zu verbringen. Allein fliegt sie in ein fremdes Land zu einem fremden Mann, der zwar ihr leiblicher Vater ist, den sie aber bisher nie persönlich kennengelernt hat. Am liebsten würde sie diese Entscheidung rückgängig machen, erst recht, als sie wenig später in Vancouver landet. Ihr Vater sieht etwas verwildert aus und begrüßt sie unterkühlt und wortkarg. Schnell verabschiedet sich Svenja von dem Gedanken, ihn besser kennen lernen zu wollen und hofft, dass sie die Zeit in Kanada zumindest nutzen kann, um Vancouver zu erkunden, shoppen zu gehen und hippe, vegane Restaurants ausfindig zu machen. Doch die Fahrt im Auto ihres Vaters führt sie aus der Großstadt heraus. Svenjas Dad lebt in Solitary Cove, einem winzig-kleinen Küstenort auf Vancouver Island, mitten in der kanadischen Wildnis. Für die Großstadtpflanze Svenja ein Albtraum. Als sie dann auch noch während ihrer ersten Tage in Solitary Cove einer Bärenfamilie gegenübersteht, reicht es ihr. Sie will nur noch eins: Zurück nach Hause. Zurück nach Berlin.

Doch dann kommt alles anders. Ein kleiner Orca verirrt sich in die Bucht von Solitary Cove und Svenja scheint eine besondere Bindung zu ihm zu haben, schließlich ist auch er ganz allein. Welche Konsequenzen das Auftauchen dieses Wals für Svenja aber auch für die Bewohner von Solitary Cove hat und warum der junge Orca nicht wieder verschwindet , solltet ihr selbst herausfinden.

Ab Seite 1 hatte ich einen Draht zu Svenja und konnte ihre Angst im Flugzeug total nachempfinden. Auch ihre Enttäuschung und schließlich ihre Verzweiflung während ihrer ersten Tage in Solitary Cove übertrugen sich schnell auf mich. Obwohl ich ein sehr naturverbundener Mensch bin, hätte ich mich in ihrer Situation ebenfalls unwohl gefühlt. Die ablehnende Haltung von Svenjas Vater und der kaum vorhandene Kontakt zur Außenwelt (Handyempfang ist nur auf dem „Bärenfelsen“ ausreichend) laden nicht unbedingt zum Wohlfühlen und Verweilen ein.

Erst als der kleine Orca auftaucht, ändert sich die Stimmung. Fast schon magisch fühlt sich Svenja zu ihm hingezogen. Ich fand’s großartig, wie es der Autorin Sabine Giebken gelungen ist, spannende & interessante Fakten rund um Orcawale in die Geschichte einzuflechten. Tatsächlich konnte ich viel aus diesem Buch mitnehmen, ohne dabei die Geschichte aus den Augen zu verlieren. Die magischen Begegnungen mit Solo haben mich immer wieder berührt und zugleich fasziniert.

Sowohl die Haupt- als auch die Nebencharaktere empfand ich als sehr „lebensecht“. Ich mochte die Bewohner & Bewohnerinnen von Solitary Cove, allen voran natürlich den wortkargen Brummbär Matt, dem von heut auf morgen eine Teenager-Tochter vor die Tür gesetzt wird. Aber auch der eifrige Meeresbiologie-Student Alex hat mein Herz erobert. Sein Engagement für den Schutz der Wale hat mich beeindruckt und sofort mitgerissen. Die zarte Annäherung zwischen ihm und Svenja fand ich sehr niedlich, auch wenn (oder gerade weil) sie nicht im Mittelpunkt steht.

Im Mittelpunkt steht natürlich der kleine Solo, der in diesem Buch viele Wal-Schicksale vertritt und auf sie aufmerksam macht. Sabine Giebken führt ihre Leserinnen und Leser ganz dicht ran. Ist es nicht toll, einem so faszinierenden Tier so nah zu kommen? Es sogar anfassen zu können?

Nicht nur Svenja ist hin und weg – ich war es auch. Doch… ist das richtig? Mir hat es unheimlich gut gefallen, wie unbedarft und teilweise auch naiv die Autorin ihre Protagonistin Svenja an diese Fragen herangehen lässt. Ihre Hin- und Hergerissenheit, ihr Hinterfragen, ihr Zurückrudern, ihre Zweifel und ihre Liebe für dieses Tier haben sich auf mich als Leserin übertragen. Es ist so wichtig, dass sich (junge) Leserinnen und Leser mit diesem Thema und den gleichen Fragen auseinandersetzen. Aufklärung ist der erste große und wichtige Schritt im Umweltschutz und genau diese Aufklärung liefert die Autorin.

Spannend wurde es bei Fragen rund um Solos Zukunft. Natürlich ist uns allen klar, dass man (wilde) Tiere nicht einsperren soll. Aber kann man das so pauschal sagen? Solo ist allein, getrennt von seiner Familie und wird nun von vielen Schaulustigen bedrängt. Wie kann man seine Unversehrtheit gewährleisten? Der Kleine will spielen, ist neugierig und schwimmt von sich aus auf die Menschen zu, sucht den Kontakt. Die Touristen sind ganz aus dem Häuschen. Hier ein Selfie mit dem kleinen Wal, da schnell eine Hand ins Wasser gehalten, um ihn zu berühren. Harmlos oder doch gefährlich? Was kann man wirklich tun, um den kleinen Orca zu schützen?

Ich empfehle euch, die Antworten auf die Fragen in diesem über 400 Seiten starken Buch selbst zu finden. Für mich zählt „Orcasommer“ zu meinen Lese-Überraschungen in diesem Jahr. In der Geschichte steckt wesentlich mehr, als man vermutet, wenn man den Klappentext liest. Ein tolles, wichtiges und zugleich kurzweilig-unterhaltsames Jugendbuch mit einer wunderbaren Botschaft, liebevollen Charakteren, einer berührenden Vater-Tochter-Sidestory und einem sehr naturverbundenem Setting.


W E I T E R F Ü H R E N D E   I N F O S

Taschenbuch* | 464 Seiten | empfohlen ab 14 Jahren | erschienen am 17. Juni 2020 im Magellan Verlag | ISBN 978-3-7348-8208-1 | Mehr über die Autorin bei Ankas Geblubber findet ihr ggfs. HIER

* = dieser Titel wurde mir vom Magellan Verlag als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, was jedoch keinerlei Einfluss auf meine persönliche Meinung zum Titel hat


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